Zum Beginn der Weinbewertungen wollte ich mit zwei sehr gelungenen Bordeaux-Rotweinen des ‚rive droite‘ beginnen, wo die Merlot-Rebe überwiegt. Zunächst beginne ich mit einem verachteten Stiefkind Parkers, dem Chateau Belair aus St. Emilion, ein Nachbar des berühmten Chateau Ausone mit atemberaubenden Kellern, die bis in die Römerzeit zurückreichen. Erst seit der Übernahme durch Moueix im Jahre 2008 fallen die Bewertungen des amerikanischen Weinpapstes für Belair aus, doch andere Kritiker mögen Belair durchaus. Dieser Wein wird oft verkannt und kann, ja muss altern, um sich zu entfalten. Sein burgunderhafter Charm will erschlossen werden und ist weniger vordergründig. Im Alter ist ein Belair hervorragend: Bei einer Negociant-Verkostung des Jahrgangs 1990 vor wenigen Jahren belegte diese Flasche einen der Spitzenplätze direkt hinter Cheval Blanc und Ausone.
Chateau Belair 1990 Premier Grand Cru Classe St. Emilion 12,5%
Nose: Walderdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Spur Cassis, Bleistiftspitze, Balsamico-Essig, etwas geröstete Eiche, Leder und Pilze. Verführerisch!
Geschmack: Samtig, vollmundig, Beerensaft, aufgelöstes Tannin, Rauch, sehr komplex mit Süßholzschmelz und Wärme.
Abgang: Sehr lang mit waldiger Frucht, balsamischen Noten, Leder und Eiche.
Score: 95 (2011 getrunken)
Kommentar: Ein erschwinglicher Spitzenwein aus großem Jahrgang wie auch der 1989er und von Parker deutlich unterschätzt (er vergab 89 Punkte). Ob das neue Management diese langreifenden und v.a. trinkigen Tropfen ebenso hinbekommt, wird sich zeigen. Fruchtig-ledrig, aber nicht feminin, wie manche Weinjournalisten sagen. Ein Unikat, von dem man gerne ein zweites und drittes Glas einschenkt, kein hochgezüchtetes Boutiquengewächs. Jetzt trinken und bei einem Händler, der seine Weinme gut gelagert hat, kaufen. Schnäppchen!
Chateau Trotanoy 2000 Pomerol AC 13,5%
„Der Petrus der kleinen Leute“ wird dieses edle Pomerol-Gewächs – ebenfalls aus dem Hause Moueix – genannt und befindet sich in der Nachbarschaft des teuersten Bordeaux Kultweines. Ähnlich vinifiziert und von der gleichen Mannschaft geerntet, steht er in guten Jahren seinem großen Bruder in nichts nach. Mein Liebling ist der 1998er, doch dieser ist ebenfalls sehr gelungen. Im Bereich Preis-Leistung liegt natürlich der Belair vorne, jetzt geht es aber um den Geschmack:
Score: 94+ (2010 getrunken)
Kommentar: Ein Bouquet vom anderen Stern: Zuerst animalisch-ledrig, dann balsamisch, ebenso hochkomplexe Frucht- und Toastaromen in feiner Balance. Der Geschmack hält das Versprechen der Nose zwar nicht vollständig, doch weist er samtige Tannine und eine wunderbare Merlot-Aromatik auf (Erdbeeren, Johannisbeeren, Himbeeren, Dörrpflaume), die herbstlich interpretiert wird – man nimmt auch ‚Mon-Cherie‘, also Kirschlikör in Bitterschokolade, wahr. Eine Magie großer Bordeaux-Weine ist zu spüren. Der Geschmack wird aber schnell schwächer, was auf keine längere Haltbarkeit hinweisen dürfte – überraschend. Evtl. schon jetzt trinken (vielleicht wurde dieses Exemplar aber schlecht gelagert, ich war Zweitbesitzer). Insgesamt liegt der Belair knapp vor dem Trotanoy, beide sind aber große Weine.